Zero (Food-)Waste dank Digitalisierung?

Unterwegs mit dem Smartphone Zeitung lesen, die neuesten Nachrichten in der Familienchatgruppe lesen und zwischendurch ein neues Bankkonto eröffnen: Digitalisierung ist Teil unseres Alltags geworden. Dennoch besteht in Deutschland Nachholbedarf. Der Digitalminister Volker Wissing definiert dafür im Interview mit dem Deutschlandfunk seine Hebelprojekte als „Türöffner für Räume unbegrenzter Möglichkeiten“. Doch welche Möglichkeiten gibt es konkret, mit digitalen Lösungen ganz analoge Probleme aus der Welt zu schaffen? Die Klimakrise bedroht die Menschheit. Der Wohlstand der Industrienationen ist nicht sicher und zukünftige Generationen haben das durch das Bundesverfassungsgericht verbriefte Recht, dass jetzt gehandelt wird, um die Folgen des Klimawandels wenigstens abzumildern.

Der IPCC-Bericht AR6 des Weltklimarates der Vereinten Nationen gibt an, dass die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung durch Abfallvermeidung ein Einsparpotenzial von 0,3 Tonnen CO₂-eq/Person (weltweit) hat bzw. 186 Millionen Tonnen CO₂-eq pro Jahr in der EU (Chapter 7, Page 83). Zum Vergleich: Im Verkehrssektor wurden laut Bundesumweltamt 2021 148 Millionen Tonnen CO₂ und andere Treibhausgase ausgestoßen.  

In den Bonner Privathaushalten werden häufig noch verpackte Lebensmittel entsorgt. Erstaunliche 7,6 Prozent (12,1 Kilogramm) davon entsorgt jede*r Bonner*in im Jahr über den Restabfall. Doch auch im Handel entstehen große Mengen Lebensmittelabfälle. Die Verbraucherzentrale geht davon aus, dass auf Supermärkte, Discounter und Verbrauchermärkte 290.000 Tonnen Lebensmittelabfälle pro Jahr entfallen, und dass weitere 210.000 Tonnen durch Drogeriemärkte, Bäckereien, Fleischereien, Onlinehandel, Getränkehandel, Wochenmärkte und Tankstellen hinzuaddiert werden müssen.

In einem Bericht an die EU-Kommission ging die Bundesregierung für das Jahr 2020 davon aus, dass entlang der Lebensmittelversorgungskette insgesamt etwa 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle in Deutschland angefallen sind. Davon sollen etwa 15 Prozent auf die Verarbeitung von Lebensmitteln entfallen sein und mit rund 7 Prozent sogar 770.000 Tonnen auf den Handel. Bundesumweltministerin Steffi Lemke gab im Sommer 2022 das Ziel aus: „Als Bundesregierung sind wir deshalb angetreten, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung in Deutschland zu halbieren.“

Smarter Konsum

Einen Beitrag zur Abfallvermeidung soll die bundesweite Strategie „Zu gut für die Tonne“ des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung leisten. Neben Alltagstipps, Informationen und Aktionen gibt es die „Beste Reste-App“, die Konsument*innen dabei helfen soll, aus übriggebliebenen Lebensmitteln leckere Restegerichte zuzubereiten. Denn der Großteil der Lebensmittelabfälle entsteht mit 52 Prozent (6,1 Mio. Tonnen) in privaten Haushalten.

Abhilfe könnte auch schaffen, wenn die Verfügbarkeit in Geschäften online bzw. per App sichtbar gemacht würde. Das könnte die Food-Waste-Spirale aus Erwartungshaltung der Kundschaft, immer alles sofort zu bekommen, und der Reaktion des Lebensmitteleinzelhandels, zur Sicherstellung der Kundenzufriedenheit immer alles vorzuhalten, auflösen. Mit einem digitalen Einkaufzettel, der mit Live-Daten aus den favorisierten Märkten abgeglichen wird, lässt sich der Wocheneinkauf planen, die Lebensmittelverschwendung reduzieren und somit nicht nur die Umwelt, sondern auch der eigene Geldbeutel schonen.

Mit Produktempfehlungen Lebensmittel retten

Ein weiterer Ansatz, der zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen schon im Einzelhandel beitragen könnte, sind Produktempfehlungen, die Verbraucher*innen während ihres Einkaufs zum Beispiel auf ihr Smartphone erhalten und dabei der Abverkauf von Lebensmitteln so gesteuert wird, dass möglichst wenig verdirbt bzw. aufgrund des abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums entsorgt werden muss. Unternehmen wie Snabble (aus dem Bonner IT-Unternehmen tarent ist im März 2018 die snabble GmbH ausgegründet worden) bieten Lösungen für den Einzelhandel an, um neben dem Bezahlvorgang, in dem Kund*innen die Barcodes ihrer Produkte selber mit dem Smartphone scannen, auch Werbefunktionen anzubieten. So könnten mit einer Koppelung an die Bestandsdaten des Supermarktes zum Beispiel gezielt auf Rabatte hingewiesen werden.

In manchen Supermärkten gibt es bereits Kisten, in denen Lebensmittel gesammelt werden, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abzulaufen droht und deswegen ein Preisnachlass gewährt wird. Mit Live-Daten versorgt könnten Self-Scanning-Apps aber auch dazu eingesetzt werden, zum Beispiel auf frisches Obst und Gemüse aufmerksam zu machen, bevor es unverkäuflich wird und darauf hinweisen, dass zum Beispiel der Mozzarella von dem digitalen Einkaufszettel günstiger eingekauft werden kann, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum nur noch eine kürzere Laufzeit hat. Besonders relevant können solche Produktempfehlungen auch dann sein, wenn sie nicht nur thematisch zum zuletzt gescannten Artikel passen, sondern sich auch räumlich in direkter Nähe befinden.

Künstliche Intelligenz in der Warenwirtschaft

Bei der Bäckerei Merzenich, die auch einige Filialen in Bonn hat, kommt die Software des Kölner Startups „foodforecast“ zum Einsatz. Das Warenwirtschaftssystem der Filialen wird mit der KI von foodforecast verknüpft. Im Idealfall kann die künstliche Intelligenz dann auf die Historie der letzten zwei Jahre zurückgreifen und dann durch das Hinzuziehen von Feiertagen, Schulferien und Wetterdaten eine Prognose für den nächsten Tag abgeben.

Um 30 Prozent konnten mit der Software bisher die Retouren reduziert werden, also die Waren, die zurückgehen müssen, weil sie nicht verkauft werden. Das bedeutet weniger Lebensmittelabfall, aber auch der Umsatz konnte in den 250 Filialen, die bisher mit der KI arbeiten, um durchschnittlich rund 4 Prozent gesteigert werden, da auch ein höherer Absatz prognostiziert werden kann, und dann mehr Ware bestellt wird, damit kein*e Kund*in leer ausgeht. Der Bestellprozess der Waren läuft dabei automatisiert ab und verringert den Arbeitsaufwand. Das Startup spricht von durchschnittlich 7.500 Euro Einsparungen beim Personalaufwand pro Filiale.

Bisher ist die KI auf Bäckereien trainiert und daher dort im Einsatz. Die Firma foodforcast möchte die Software aber weiterentwickeln und für weitere Branchen nutzbar machen, damit zum Beispiel auch Systemgastronomie, Supermärkte und Tankstellen ihre Bestellmengen genauer prognostizieren können, damit am Ende weniger Lebensmittelabfälle anfallen.

Digitale Möglichkeiten für eine Welt mit Zero (Food-)Waste

Die Vermeidung von Abfällen und somit auch von Lebensmittelabfällen ist das priorisierte Ziel der fünfstufigen Abfallhierarchie. Die Formel ist einfach: Abfälle, die es nicht gibt, haben auch keinen CO₂-Fußabdruck. Darum misst der IPCC-Bericht AR6 der Vermeidung von Lebensmittelabfällen auch eine besondere Bedeutung zu. Die Digitalisierung bietet viele Chancen. Unser Konsumverhalten verändert sich nur langsam, wir müssen gewohnte Verhaltensmuster durchbrechen und dafür benötigen wir Informationen, die die Abfallberatung und die Umweltbildung der bonnorange AöR vermittelt, auf Bonner Initiativen hinweist und auch digitale Werkzeuge nutzt, wie zum Beispiel den „CO₂-Rechner für Abfälle“. Zudem gibt es clevere digitale Anwendungen für den Einzelhandel, zwei aus der Region haben wir in diesem Beitrag vorgestellt, die im Alltag dabei helfen können, den eigenen Konsum nachhaltig zu gestalten.