50 Jahre „Umweltschutz“ – wo steht die Abfallvermeidung?
Als Startpunkt der weltweiten Umweltbewegung wird häufig die Veröffentlichung des Sachbuchs „Der stumme Frühling“ von der Biologin Rachel Carson am 27. September 1962 bezeichnet. Dass ein Umdenken in der Gesellschaft stattfand, markierten auch die Aufnahmen "Earthrise" vom 24. Dezember 1968 und "Blue Marble" am 7. Dezember 1972 der Erde aus dem Weltall, die Symbolbilder für die entstehende Umweltschutzbewegung wurden. Der Club of Rome veröffentliche am 2. März 1972 seine Studie „Die Grenzen des Wachstums“ und so bewies die Dudenredaktion, dass sie nah am Zeitgeist war, als sie rund ein Jahr später das Wort „Umweltschutz“ in die 17. Auflage des Rechtschreibdudens, der am 15. Mai 1973 erschien, aufnahm. Die Veröffentlichung des Standardwerks zum deutschen Sprachgebrauch mit der erstmaligen Aufnahme des Wortes „Umweltschutz“ kann als der Zeitpunkt verstanden werden, als das Wort in den allgemeinen Sprachgebrauch überging.
Am 12. Februar 1979 fand in Genf die erste Weltklimakonferenz statt. Dort sprach auch ein Bonner Klima-Pionier: Hermann Flohn, weltbekannter Meteorologe und Klimaforscher, schilderte bereits 1941 in seiner Habilitation die Möglichkeit eines menschengemachten Klimawandels. Der Wissenschaftler folgte 1961 einem Ruf an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn und wurde Direktor des neu gegründeten Meteorologischen Institutes. Den unaufhaltsamen Anstieg der CO₂-Werte zeigen Messungen auf Hawaii, die bereits seit 1958 stattfinden. Die Keeling-Kurve ist ein zentrales Symbol des Klimawandels.
In der Fernsehsendung "Querschnitt", die von 1971 bis 1989 im ZDF ausgestrahlt wurde, erklärte der Wissenschaftsjournalist Hoimar von Ditfurth mehrfach die Folgen der Treibhausgasemissionen und schlussfolgerte schon 1978, dass durch den Temperaturanstieg aufgrund des CO₂-Ausstoßes die "Klimakatastrophe" folgen würde.
„Was man in den 70ern wusste – und verschwiegen hat" | Harald Lesch
Das Problem wird erkannt, doch wird auch gehandelt?
1992 fand die 1. Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro statt, bei der auch schon Kinder eine zentrale Rolle spielten, die auf die Folgen der Umweltzerstörung für ihre Generation hinwiesen: "If you don't know how to fix ist, please stop breaking it!" sagte die damals zwölfjährige Severn Cullis-Suzuki in ihrer sechsminütigen Rede und wurde daraufhin als „das Mädchen, das die Welt zum Schweigen brachte“ bekannt.
1997 folgte das bekannte Kyoto-Protokoll zur Ausgestaltung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) mit dem Ziel des Klimaschutzes. Am 30. Oktober 2006 erschien der „Stern Review on the Economics of Climate Change“ (Stern-Report) des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern. In dem rund 650 Seiten starken Bericht werden die wirtschaftlichen Schäden des Klimawandels berechnet, wenn nicht gehandelt wird, und auf einen Verlust von wenigstens 5 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts taxiert.
Das "Übereinkommen von Paris" wurde am 12. Dezember 2015 auf der 21. Weltklimakonferenz (COP 21) in der französischen Hauptstadt beschlossen. Es ersetzt das Kyoto-Protokoll von 1997. In dem Pariser Klimaabkommen wurde unter anderem eine Beschränkung des Anstiegs der weltweiten Durchschnittstemperatur unter 1,5 Grad bzw. 2 Grad gegenüber vorindustriellen Werten festgelegt.
Vier Jahren später wurden im Rat der Bundesstadt Bonn zwei wegweisende politische Beschlüsse gefasst. Am 4. Juli 2019 wurde der Klimanotstand ausgerufen und am 7. November 2019 das Ziel definiert, dass Bonn bis 2035 klimaneutral sein soll. 2023 verabschiedete der Stadtrat den Bonner Klimaplan mit einer Vielzahl an Maßnahmen, um das 1,5-Grad-Ziel auf kommunaler Ebene einzuhalten.
Und wie entwickelte sich die Abfallwirtschaft in Bonn?
Über die letzten Jahrzehnte ist das Wissen um die planetaren Grenzen auch in Bonn stetig größer geworden. Schon im Juli 1986 wurde in der Grundsatz- und Plausibilitätsstudie zur Fortschreibung der Abfallwirtschaft für die kreisfreie Stadt Bonn in den Schlussfolgerungen zur zukünftigen Abfallwirtschaft in der Stadt Bonn festgehalten, dass „ein Mensch in einer industriellen Gesellschaft die Ressourcen der Erde in einem größeren Maße beansprucht und dissipiert als ein Mensch in einer traditionellen Gesellschaft. […] Darüber hinaus erfährt der Mensch in der Industriegesellschaft nicht direkt die Belastung, die auf die Umwelt einwirkt, in der Weise, wie der traditionelle Mensch, weil er von vielen schweren Formen der Umweltbeeinträchtigung räumlich getrennt ist.“ Dabei wurden auch schon auf die Schwäche aufmerksam gemacht, die das marktwirtschaftliche System dann hat, wenn nicht alle Kosten für die Preisbildung herangezogen werden: „Der Markt könnte prinzipiell dazu beitragen, die Beanspruchung der gemeinsam genutzten Umwelt in Grenzen zu halten, wenn die Umweltkosten in die Marktpreise eingeschlossen und nicht von der Gesellschaft getragen (Abwasser, Luft, Landschaftsverbrauch usw.) würden.“
Worauf Cullis-Suzuki 1992 und heute die Fridays-for-future-Bewegung aufmerksam machen, war in Bonn 1986 mit Veröffentlichung der Studie unlängst bekannt: „Ein weiteres Problem bildet der Generationenunterschied. Die ökonomischen Entscheidungen, welche die Höhe der die Umwelt belastenden Frachten bestimmen, werden auf dem Boden heutiger Werteinschätzung getroffen, wodurch die zukünftigen Nutzen und Kosten niedriger bewertet werden. Das aber kann sich die Gesellschaft nur erlauben, da folgende Generationen an der Rohstoffbörse nicht mitbieten können und von der Einschätzung von Auswirkungen unserer Tätigkeit auf die Umwelt ausgeschlossen sind.“
Was lässt sich aus der Entwicklung der Bonner Abfallmengen ablesen?
1967 gab es eine Untersuchung des Hausmülls in Bonn, die erste Werte liefert. Auch 1983 gab es eine Erhebung der Abfälle, die umfangreicher war, allerdings auch nicht die Menge des privat erzeugten Hausmülls einzeln auswies. Einzeln ausgewiesen wurde jedoch der Bauschutt. Da die Stadt Bonn ab 1969 ihre eigene Deponie in Bornheim-Hersel betrieb, konnten dort große Mengen nicht brennbare Baustellenabfälle auch von Gewerbetreibenden abgeladen werden. Mit ihnen betrug das Abfallaufkommen im Jahr 1983 insgesamt 212.098 Tonnen. Für die Statistik wurden die 38.507 Tonnen nicht brennbaren Bauschutts abgezogen. Ab 1989 nahm die Menge ab, weil mit dem immer knapperen Platz in der Deponie die Abladegebühr von 40 DM/t auf 130 DM/t angehoben wurde. 1990 und 1991 pendelte die Menge dann zwischen 11.200 und 11.929 Tonnen und lag 1992 schließlich bei 1250 Tonnen. Zu dem drastischen Rückgang der nicht brennbaren Baustellenabfälle (Sand, Erde, Steine, Metallteile) kam es auch aufgrund der Beendigung der Müllumladung und der Aufnahme des Separierungsgebots in der Satzung. Um die Werte über den gesamten Zeitraum besser miteinander vergleichen zu können, wird der Bauschutt daher erst ab 1992 berücksichtigt.
Auch sollte bei dem Vergleich der Zahlen nicht außer Acht gelassen werden, dass die zunehmende Entsorgung von Gewerbeabfällen in Verwertungsanlagen aber auch auf billigerem Wegen zum Beispiel auf anderen Deponien – bis zum Verbot der Ablagerung von unbehandelten Siedlungsabfällen 2005 – einen wesentlichen Anteil am Rückgang der Restabfallmengen in den 90er-Jahren hatte. So werden zum Beispiel Abfälle zur Verwertung, die von den Abfallbesitzern direkt Verwertungsbetrieben zugeführt werden, in den Abfallmengenbilanzen nicht erfasst. Die Menge der hausmüllähnlichen Gewerbeabfälle schrumpfte in Bonn von noch 50.400 Tonnen im Jahr 1990 bis auf einen vorläufigen Tiefstand von 13.978 Tonnen im Jahr 1998. Insgesamt konnte seit Beginn der 90er-Jahre die Tendenz zur Entsorgung hausmüllähnlicher Gewerbeabfälle außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger über private Unternehmen beobachtet werden. Vor dem Hintergrund der angestrebten Deregulierung wurde Abfall vermehrt auf andere Entsorgungswege gelenkt. Dazu trug auch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bei, wonach es den Abfallerzeugern ermöglicht wurde, auch unverwertbaren Abfall der Überlassungspflicht an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu entziehen, indem der Abfall vermischt mit verwertbaren Abfällen gesammelt und das Gemisch insgesamt als Verwertungsabfall eingestuft wird. Das hatte jedoch zur Folge, dass die bereits auf hohem technischem Standard befindlichen und damit mit höheren Betriebskosten belasteten Entsorgungsanlagen von Kommunalunternehmen nicht mehr ausgelastet wurden und aufgrund des sehr hohen Fixkostenanteils dieser Anlagen die Entsorgungskosten stiegen. Die daraus resultierenden Gebührenerhöhungen sorgten in der Bevölkerung für Unverständnis, da sich ihre Vermeidungs- und Verwertungsbemühungen nicht auszahlten.
Die Mengen des privaten Hausmülls wurde zwar über die letzten Jahrzehnte reduziert, jedoch bei einem gleichzeitigen deutlichen Anstieg der getrennt erfassten Wertstoffmengen. Mit der Einführung der separaten Sammlung von Verpackungsabfällen und der Biotonne in Bonn im Laufe des Jahres 1991, liegen ab 1992 erstmals Daten für das ganze Jahr vor. Betrachtet man nun diesen Zeitraum der letzten 30 Jahre, dann wurde die Abfallmenge pro Person seitdem nur um 8 Prozent (1992: 547 Kilogramm/ 2021: 502 Kilogramm) reduziert. Die Menge Hausmüll pro Einwohner*in ist hingegen von 272 Kilogramm auf 160 Kilogramm (minus 41 Prozent) gesunken. Lag der Anteil der getrennt erfassten Abfälle im Jahr 1992 noch bei etwa 30 Prozent (48.346 Tonnen), betrug er 2021 fast 60 Prozent mit 99.757 Tonnen. Dies lässt sich so zusammenfassen, dass in Bonn über die Zeit die verschiedenen Abfälle zwar professioneller gemanagt werden, aber die Abfallvermeidung nicht in ausreichendem Maße gelingt.
Weniger verbrauchen und länger gebrauchen
An erster und wichtigster Stelle der sogenannten Abfallhierarchie, die in der Abfallrahmenrichtlinie (Richtlinie 2008/98/EG) definiert und in Paragraph 6 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes verankert wurde, steht die Abfallvermeidung. Sie ist ein wesentlicher Beitrag zur Verringerung der CO₂-Emissionen, indem bewusster konsumiert wird, weniger Lebensmittel weggeschmissen und Produkte länger im Kreislauf gehalten werden, da sowohl die Produktion neuer Güter als auch die Entsorgung alter Produkte einen wesentlichen Anteil des CO₂-Fußabdrucks ausmachen.
Das Abfallwirtschaftskonzept für die Bundesstadt Bonn von 2022 sieht daher die verstärkte Umsetzung der Anforderungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und des Abfallvermeidungsprogramms hinsichtlich der Abfallvermeidung und (Vorbereitung zur) Wiederverwendung vor. Zur Orientierung wurden für die zukünftige Entwicklung der Abfallmengen im Rahmen der Fortschreibung des Abfallwirtschaftskonzeptes drei Szenarien erstellt. Neben einer Statusfortschreibung werden in einem weiteren Szenario moderate Veränderungen beim Abfallverhalten und den resultierenden spezifischen Abfallmengen angenommen und in einem dritten Szenario das Ergebnis einer Prognose aus dem Klimaschutzkonzept des Abfallzweckverbandes Rheinische Entsorgungs-Kooperation (REK) vergleichend aufgeführt.
Selbst bei einer Steigerung der Abfalltrennung, Abfallvermeidung und Wiederverwendung, indem organische Abfälle aus dem Restabfall in den Bioabfall verlagert werden, durch die Zulassung von Speiseresten, aber auch ein besseres Image der Biotonne, einer Reduzierung der Altpapiermenge unter anderem aufgrund des Rückgangs von Printmedien wie Zeitungen, Magazinen usw., einer gesteigerten Wiederverwendung von Gegenständen aus dem Sperrmüll durch Stärkung der Angebote und Wertewandel sowie stärkere Abfallberatung steigt die Abfallmenge in den kommenden Jahren weiter an. Die dritte Abfallmengenprognose des Abfallwirtschaftskonzeptes stellt zwar eine sinkende Menge dar, basiert allerdings auch auf Aspekten, die eines gesellschaftlichen Wandels bedürfen, der nicht nur mit dem vorhandenen Werkzeugkasten aus zum Beispiel der Gestaltung der Erfassungssysteme und Satzungsregelungen beeinflusst werden kann. Zu der ambitionierten Entwicklung bedarf es Maßnahmen, wie zum Beispiel einer Produktgestaltung im Sinne eines Design for Recycling und eines gesellschaftlichen Wertewandels etwa durch Konsumverzicht. Doch selbst in diesem Szenario liegt die Reduktion des Abfallaufkommens pro Bonner*in bei nur 11 Prozent bis 2035 zum Vergleichsjahr 2021. Die Aufgabe ist also eine große, die Vermeidungspotenziale zu heben, damit Abfallvermeidung dazu beiträgt, die Umweltkosten auf der ganzen Welt zu reduzieren sowie die Generationengerechtigkeit zu erhöhen, weil Abfallvermeidung Umweltschutz ist. Einen persönlichen Beitrag kann jede*r leisten, indem zum Beispiel durch ReUse Dinge länger genutzt werden, weniger Verpackungsmüll entsteht, indem Mehrwegalternativen zum Einsatz kommen und so früh wie möglich Umweltbildung in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wird.